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Noch nie zuvor war eine Fussballweltmeisterschaft von so vielen Nebengeräuschen begleitet wie jene in Katar. Menschenrechtsorganisationen haben auf die zahlreichen Missstände aufmerksam gemacht. Kritik gibt es vor allem an den schlechten Arbeitsbedingungen für die Gastarbeiter*innen. Amnesty International moniert, dass die Menschenrechtslage im Wüstenstaat trotz versprochener Reformen nach wie vor problematisch ist.

Seit dem 20. November rollt an der Fussballweltmeisterschaft in Katar der Ball. Rein aus sportlicher Sicht hat das Turnier bisher einige durchaus interessante Momente geboten. Trotzdem fragen wir uns: Soll ich, ja darf ich mir die Spiele überhaupt anschauen, ist dies ethisch vertretbar? Nicht wenige Fussballfans haben diese Frage mittlerweile mit Nein beantwortet und schauen sich die Spiele gar nicht oder nur in einem stark reduzierten Umfang an. Sie stehen damit nicht allein da: In zahlreichen französischen Städten gibt es diesmal als Boykott keine «Fanzonen» mit Public Viewing. Mehrere Schweizer Städte sind diesem Beispiel gefolgt. Andere Fans wiederum werden sich die Spiele wie gewohnt anschauen und die Schattenseiten so gut wie möglich ausblenden. Während sich die arabische Welt über die Durchführung freut, sind wir uns hierzulande aber einig: Die WM hätte gar nie erst an Katar vergeben werden sollen.

Die Liste der Kritikpunkte ist lang. Allen voran Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International oder Human Rights Watch haben seit Bekanntwerden der WM-Vergabe an Katar 2010 den Finger immer wieder in die Wunde gelegt. Dabei geht es insbesondere um die Situation der Gastarbeiter*innen im Land. Bis zu 30'000 sollen am Bau der Stadien beteiligt gewesen sein, die eigens für die WM aus der Wüste gestampft worden sind. Verspätete oder ausgebliebene Lohnzahlungen, gestrichene Ruhetage, Abschiebungen und beschlagnahmte Pässe: Das sind nur einige der Vorwürfe, die aufgekommen sind. Es sind dies die Auswirkungen des in Katar 2014 offiziell abgeschafften, de facto aber immer noch existierenden Kafala-Systems. Gemäss diesem benötigen Gastarbeiter*innen für eine Aufenthalt- und Arbeitserlaubnis einen Bürgen im Land – in der Regel ist dies ihr Arbeitgeber – wodurch die Ausbeutung dieser Menschen begünstigt wird. Die Überarbeitung des Arbeitssystems hat seit 2017 zwar deutliche Verbesserungen für die rund zwei Millionen Arbeitsmigrant*innen im Land herbeigeführt. Ein kürzlich veröffentlichter Bericht von Amnesty International kommt aber zum Schluss, dass die Lage weiterhin ungenügend ist. Die Reformen seien nur mangelhaft umgesetzt worden, heisst es. Auch die Todesfälle auf den WM-Baustellen sind weiterhin ungeklärt. Die Angaben dazu, wie viele Arbeiter*innen ihr Leben lassen mussten, gehen weit auseinander.

Weitere Missstände wie etwa Diskriminierung und Gewalt gegen Frauen, homophobe Gesetze und Einschränkungen in der Pressefreiheit zeigen, wie viel im reichen Emirat immer auch sonst noch im Argen liegt. Nur wenige Wochen vor Beginn des Turniers hatte der katarische Botschafter der WM, Homosexualität als einen geistigen Schaden bezeichnet. Und von den Umweltschäden, die beim Bau der Stadien verursacht worden sind, soll hier noch gar nicht die Rede sein. Zur Erinnerung: In der absoluten Monarchie Katar existieren keine demokratischen Prozesse. Der Emir hat Legislative und Exekutive inne, es gibt kein Parlament, die freie Meinungsäusserung ist stark eingeschränkt.

Die Kritik am Austragungsort richtet sich aber nicht nur gegen Katar selbst, sondern auch an die FIFA. Nicht nur ist die Wahl zur Vergabe der WM höchst umstritten. Amnesty International kritisiert die FIFA ebenfalls dafür, dass der Grossanlass ohne Bedingungen zur Verbesserung des Arbeitsschutzes vergeben worden ist. Und auch seit Beginn der WM hat der Fussballweltverband noch kein gutes Bild abgegeben: Die One-Love-Armbinde, mit der die Kapitäne von sieben europäischen WM-Mannschaften ein Zeichen gegen Diskriminierung setzen wollten, wurde kurz nach Beginn des Turniers von der FIFA verboten.

Die Befürworter*innen betonen, dass dank der WM nun endlich die Weltöffentlichkeit auf Katar blicke und das Land so zu Reformen gedrängt werden könne. Kritiker*innen wiederum geben zu bedenken, dass Katar Sportswashing betreibe und sich ohne die vollständige Umsetzung der Reformen die Lage im Land nach der WM noch weiter zuspitzen werde. Auch nach Abpfiff des Finalspiels am 18. Dezember dürfe man deshalb nicht wegschauen.

Quellen:
Katar: Anhaltende Missstände einen Monat vor Anpfiff der Fussball-WM — amnesty.ch (Letzter Zugriff: 16.12.22)
Katar: Das Kafala-System: Gefangen in einem Kreislauf des Missbrauchs | WOZ Die Wochenzeitung (Letzter Zugriff: 16.12.22)
Das Kafala-System besteht fort - Rosa-Luxemburg-Stiftung (rosalux.de) (Letzter Zugriff: 16.12.22)
WM-Boykott: Ein grotesker Wahnsinn | WOZ Die Wochenzeitung (Letzter Zugriff: 16.12.22)
Katar: Reality Check 2021: Arbeitsmigrant*innen droht weiterhin Ausbeutung — amnesty.ch
(Letzter Zugriff: 16.12.22)

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