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Den Klimaseniorinnen gelingt eine Sensation

Gerade ältere Menschen leiden im Sommer unter den hohen Temperaturen. Aus Sicht vieler Seniorinnen ist dieses Problem zum Teil hausgemacht: Sie sind der Meinung, dass die Politik zu wenig gegen den Klimawandel unternimmt. Über 2000 Frauen im Pensionsalter haben sich zum Verein Klimaseniorinnen zusammengeschlossen und kurzerhand die Schweiz verklagt. In einem historischen Urteil hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Schweiz nun gerügt.

Der Sommer steht vor der Tür. Nicht mehr lange und es wird wieder heiss. Vielleicht so heiss wie 2015, als die Schweiz von einer der bislang grössten Hitzewellen heimgesucht wurde. Was damals noch niemand wissen konnte: Es war ein Sommer mit politischen Folgen. Ruth Schaub, damals 84 Jahre alt, kollabierte im viel zu heissen Wartezimmer ihres Hausarztes in Zürich. Mit ausgelöst durch die hohen Temperaturen, wie es im Arztzeugnis hiess.

Von den Ärzten bekam die Seniorin den Rat, bei über 30 Grad nicht mehr aus dem Haus zu gehen. Ruth Schaub stellte ihr Leben um, ging etwa an heissen Tagen nur noch frühmorgens einkaufen und verliess ihr Zuhause den Tag hindurch möglichst wenig. Bis sie zum Entschluss kam, dass es in diesem Stil nicht weitergehen konnte. So kam der Stein ins Rollen.

Denn Ruth Schaub blieb nicht allein. Schliesslich ist sie nicht die Einzige mit diesem Problem: Jedes Jahr macht die Hitze vielen, gerade älteren Menschen, zu schaffen, manche sterben an den Folgen sogar. Ruth Schaub schloss sich mit Hunderten von anderen Seniorinnen zu den Klimaseniorinnen zusammen.

Dieser von Greenpeace unterstützte Verein verklagte 2020 die Schweiz beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Strassburg. Mit der Anschuldigung, dass die Politik nicht genug gegen den Klimawandel unternimmt, reichte der Verein bereits 2016 eine erste Klage beim Bund ein. Vor dem Bundesgericht blitzten die pensionierten Frauen zwar ab. Rund vier Jahre später folgte jedoch der Durchbruch: Der Verein gelangte an den EGMR, der den Bundesrat verpflichtete, zu der Klage Stellung zu nehmen. Allein schon das wurde von Greenpeace als «Sensation» bezeichnet.

Das historische Urteil fiel schliesslich am 9. April 2024: Die Richterinnen und Richter des EGMR kamen zum Schluss, dass die Schweiz zu wenig gegen den Klimawandel getan hat. Der Gerichtshof stellte in seinem Urteil eine Verletzung von Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention fest.

Dies bedeutet, dass die Schweiz das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens verletzt hat. Die Behörden hätten es versäumt, so das Urteil, die nationalen Ziele für die Reduktion des Treibhausgasausstosses durch ein Kohlenstoffbudget oder auf andere Weise festzulegen. Hinzu komme, dass die Schweiz ihre Klimaziele in der Vergangenheit nicht erreicht habe. Zudem hat das Gericht die Eidgenossenschaft dafür gerügt, den Rentnerinnen den Zugang zum Gericht verwehrt zu haben. Weil sie bei allen Instanzen im eigenen Land abgeblitzt sind, sieht das Gericht das Menschenrecht auf ein faires Verfahren verletzt.

Für die über 2000 Klimaseniorinnen ist dieses Urteil ein grosser Erfolg. «Mit so einem guten Ergebnis hätten wir nicht gerechnet», lässt sich Rosmarie Wydler-Wälti, Co-Präsidentin des Vereins, nach der Urteilsverkündung zitieren. Die Zürcher Völkerrechtlerin Helen Keller, die selbst jahrelang in Strassburg Richterin gewesen ist, spricht gar von einem «bahnbrechenden» Urteil. Und das Bundesamt für Justiz lässt über ihre Sprecherin mitteilen: «Die Schweiz nimmt das ernst. Wir werden das umfangreiche Urteil nun analysieren müssen, um zu schauen, welche Massnahmen die Schweiz ergreifen muss.»

Der Richterspruch hat aber auch internationale Strahlkraft und dürfte über die Landesgrenzen hinaus Folgen haben. Erstmals überhaupt hat ein länderübergreifendes Gericht einen menschenrechtlichen Anspruch auf Klimaschutz bestätigt. Damit haben die Richterinnen und Richter einen Präzedenzfall für alle 46 Staaten des Europarates geschaffen. Auch in diesen Ländern könnten nun die Bürgerinnen und Bürger die Forderung stellen, die Klimapolitik im Hinblick auf die Wahrung der Menschenrechte zu überprüfen.

Auftrag

  • Am 9. April 2024 hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) die Schweiz gerügt:

    • Erklären Sie in eigenen Worten, weshalb der EGMR berechtigt ist, ein Urteil über die Schweiz zu sprechen. Lesen Sie dazu den Abschnitt «Menschenrechte» im Sachtext «Rechte und Pflichten» (ABU).
    • Wie fallen die Reaktionen der grossen politischen Parteien zu diesem Urteil aus? Recherchieren Sie im Internet und halten Sie 3–4 Reaktionen in Stichworten fest.
    • Diskutieren Sie zu dritt: Was bedeutet der Erfolg der Klimaseniorinnen für Ihre Zukunft? Was halten Sie vom Urteil des EGMR über die Schweiz?
  • Wie wird im Ausland über den Erfolg der Klimaseniorinnen berichtet? Suchen Sie in verschiedenen ausländischen Medien nach Beiträgen zum EGMR-Urteil und wählen Sie einen aus. Kommentieren Sie die Berichterstattung in wenigen Sätzen.

  • Die Klimaseniorinnen haben gegen die Schweiz geklagt, weil diese zu wenig gegen den menschengemachten Klimawandel unternimmt:

    • Erklären Sie mithilfe einer Skizze, weshalb sich das Klima durch den Einfluss der Menschen erwärmt. Im Sachtext «Klimawandel» (ABU) finden Sie nützliche Informationen.
    • Vergleichen Sie zu zweit Ihre Skizzen.
    • Schreiben Sie fünf politische oder persönliche Massnahmen auf, mit denen die Klimaerwärmung gebremst werden kann.