NEWS

Zurück zu mySkillbox

Rechtsrutsch in Europa

Europa hat gewählt. In vielen Ländern können rechtspopulistische Parteien deutlich an Stimmen hinzugewinnen, teils reicht es gar für eine Mehrheit. Besonders auffällig sind die Wahlergebnisse in den drei grossen Nationen Deutschland, Frankreich und Italien. In Frankreich hat das Ergebnis nun Konsequenzen: Präsident Emmanuel Macron hat Neuwahlen ausgerufen.

Die Europawahl, die vom 6. bis 9. Juni 2024 stattfand, lässt keinen anderen Schluss zu: Europa rückt nach rechts. So konnten in zahlreichen der insgesamt 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union rechtspopulistische Parteien eine Mehrheit oder zumindest Anteile gewinnen. Es hat sich damit jener Ausgang bewahrheitet, der schon im Vorfeld erwartet worden ist: In einem von Krisen gebeutelten Europa können vor allem konservative und rechte Parteien zulegen, die den Schwerpunkt zum Beispiel auf Sicherheit und strengere Asyl-Regeln legen. Die grünen Parteien hingegen, die 2019 mit den Klimathemen noch zu den grossen Gewinnern gehörten, verlieren deutlich an Stimmen. Besonders ins Auge sticht das gute Ergebnis der rechten Parteien in den drei grossen Nationen Deutschland, Frankreich und Italien.

So bejubelt in Deutschland die rechtspopulistische und in Teilen rechtsextreme AfD gleich einen historischen Sieg. Die Partei holt fast 16 Prozent der Stimmen, obwohl sich ihr Spitzenkandidat Maximilian Krah einen Skandal geleistet und im Wahlkampf die Verbrechen der Waffen-SS relativiert hat. Die AfD steigt damit erstmals zur zweitstärksten Partei im Land auf. Gleichzeitig kam die SPD, die in Deutschland immerhin den Bundeskanzler stellt, nur gerade auf 13,9 Prozent – das bisher schlechteste Ergebnis der Sozialdemokraten bei einer bundesweiten Wahl. «Wir haben den Anspruch zu regieren», kommentiert AfD-Co-Parteichefin Alice Weidel das starke Ergebnis ihrer Partei.

In Italien ist das Szenario einer rechten Regierung bereits bekannt: Seit Oktober 2022 ist dort die Partei Fratelli d’Italia von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni an der Macht. Das Land wird von einer Koalition aus drei rechten Parteien regiert. Die Fratelli d’Italia, die ihre Wurzeln in der postfaschistischen Bewegung haben, holen bei der Europawahl in Italien mit 28,8 Prozent die meisten Stimmen. Gemeinsam kommen die drei rechten Regierungsparteien (Fratelli d’Italia, Lega und Forza Italia) auf fast 50 Prozent. Zum Vergleich: Bei der letzten Wahl 2019 hatten die Fratelli d’Italia gerade mal 6,5 Prozent der Stimmen erhalten. Nun aber liegt die Partei in Italien klar an der Spitze. Dahinter liegt mit 24,5 Prozent auf Platz zwei ein linkes Bündnis um die sozialdemokratische Partei PD. Es wird angenommen, dass mit diesem Ergebnis Melonis Einfluss auch auf europäischer Ebene deutlich zunehmen wird.

Um seinen Einfluss kämpfen muss nach der Europawahl Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Seine Partei Renaissance, die gerade mal gut 15 Prozent erreicht, erleidet bei der Europawahl eine deutliche Niederlage. Auch in Frankreich kommt der Sieger aus dem rechten Lager: Das rechtspopulistische bis rechtsextreme Rassemblement National (ehemals Front National) holt 31,5 Prozent der Stimmen. Dessen langjährige Vorsitzende Marine Le Pen kündigt nach der Wahl an: «Wir sind bereit für die Macht.» Die Partei hat dieses Bestreben schon seit vielen Jahrzehnten, gelungen ist es ihr aber noch nie. Nun hingegen stehen die Chancen besser als je zuvor: Emmanuel Macron löst kurz nach der Wahl das Parlament auf und kündigt Neuwahlen für den 30. Juni und den 7. Juli an. Man könne nach diesem Ergebnis nicht weitermachen, als wäre nichts gewesen, begründet Macron diesen Entscheid. «Der Aufstieg der Nationalisten und Demagogen ist eine Gefahr für unsere Nation und eine Gefahr für Europa.» Der Wahlsieg des Rassemblement National löst in Frankreich grosse Proteste aus. Allein in der Hauptstadt Paris gehen Tausende Menschen auf die Strasse.

Die Europawahl ist die zweitgrösste demokratische Wahl der Welt (nach den indischen Parlamentswahlen): Es sind mehr als 360 Millionen Bürgerinnen und Bürger aufgerufen, 720 Abgeordnete aus 27 Mitgliedstaaten für das Europäische Parlament mit Sitz in Strassburg zu wählen. Die Wahlbeteiligung lag dieses Jahr wie schon 2019 bei rund 51 Prozent. In Deutschland (64,8 Prozent) war sie so hoch wie noch nie seit der Wiedervereinigung. Auch in Frankreich gingen dieses Mal wieder mehr Menschen zur Europawahl (51,5 Prozent). Dies wird auch als Indiz für die Unzufriedenheit vieler Französinnen und Franzosen mit der Regierung gedeutet. In Italien hingegen sank die Wahlbeteiligung erstmals bei landesweiten Wahlen unter die 50-Prozent-Marke (48,3 Prozent).

Auftrag

  • Wie funktioniert die Wahl des Europäischen Parlaments?

    • Schauen Sie sich das Video «Europawahl 2024 einfach erklärt» an.
    • Diskutieren Sie mit Ihrer Kollegin oder Ihrem Kollegen: Was hat Sie überrascht? Welche Ähnlichkeiten gibt es mit den Nationalratswahlen in der Schweiz? Was ist anders? …
  • Was wissen Sie über die politischen Machtverhältnisse in unseren Nachbarländern Deutschland, Frankreich, Italien und Österreich?

    • Bilden Sie 4er-Gruppen und tauschen Sie Ihr Wissen aus (Welche Parteien gibt es? Wer regiert? Welche politischen Persönlichkeiten kennen Sie? Wie ist die politische Stimmung im Land?).
    • Teilen Sie die vier Länder unter sich auf und erstellen Sie je einen Steckbrief zur stärksten rechtspopulistischen Partei im Ihnen zugeteilten Land: Wie heisst die Partei? Wie gross ist ihr Wähleranteil? Wann wurde die Partei gegründet? Wer ist an der Parteispitze und welche weiteren Persönlichkeiten sind bekannt? Welches sind die Hauptthemen der Partei?
    • Präsentieren Sie sich gegenseitig die Ergebnisse aus Ihren Recherchen mithilfe des Steckbriefs.
  • Weshalb werden die rechtspopulistischen Kräfte in Europa Ihrer Meinung nach immer stärker und was bedeutet das?

    • Verfassen Sie einen persönlichen Kommentar (ca. ½ Seite) zur politischen Stimmung in Europa. Nutzen Sie dafür das Instrument «Einen Kommentar schreiben». Gehen Sie im Kommentar auf den News-Artikel und auf die Erkenntnisse aus Aufgabe 2 ein.